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„NEUE ZEIT. EBERSBACHER GESCHICHTEN. Beitrag der FÜR DICH vom Besuch in Ebersbach im Janar 1991“
Ebersbacher Geschichten
Ein Reportageauftrag der Frauenillustrierten FÜR DICH führte mich im Januar 1991 in die schöne Oberlausitz. Der Anlass war traurig. Die Textilindustrie in Ebersbach ging zugrunde. 100 Jahre Tradition starben, 4000 Menschen wurden von der Marktwirtschaft in die Hoffnungslosigkeit getrieben. Windige Geschäftsleute versprachen Investitionen, wollten meist aber nur die Absatzadressen ausspionieren. Maschinen wurden demontiert, Spinde ausgeräumt. Ich fotografierte den letzten Tag in der Weberei, sah die Verzweiflung in den Gesichtern. Von Angelika Stiebner und Manuela Jurschik zum Beispiel.
Wie geht es ihnen heute? Im November 2002, fast zwölf Jahre also nach meinem ersten Besuch, machte ich mich wieder auf den Weg nach Ebersbach, sechs Jahre darauf , im Dezember 2008, eine letzte Fahrt nach Ebersbach.
Ein Plakat an der Durchgangsstraße verkündet frohe Botschaft: „Leben ist schön, ich habe gerade Blut gespendet.“ 4 000 von einst 10 000 Ebersbachern haben das Weite gesucht. Einziger größerer Arbeitgeber ist heute das Krankenhaus. Kurz vorm Viadukt eine Brachfläche, darauf Reste von Ziegelsplitt. Wenige Wochen vor meinem Besuch war hier das D-Werk, ein Zweigbetrieb der Weberei, abgerissen worden. So dicht an der Bundesstraße 96 sei das doch ein Schandfleck gewesen, höre ich.
Die Weberei des einstigen Kombinats Lautex, in der ich im Januar 1991 fotografiert hatte, ist längst verschwunden. Nur die mächtige Spinnerei steht noch, düster und verlassen. Vorgelagert zur Straße die ehemalige, großzügig gebaute Betriebskantine, jetzt Lidl-Markt. Ein alter Mann steht neben dem Eingang und studiert die Sonderangebote.
Schräg gegenüber wohnt Eva-Maria Graf mit ihrem Mann in einem schmucken Häuschen. Durch den Garten plätschert die Spree, deren Quelle nicht weit entfernt zu besichtigen ist. Eva-Maria Graf war Abteilungsleiterin in der Weberei. Sie hatte, zusammen mit wenigen anderen, noch bis Ende Juni 1994 einen Job. Lautex hatte damals Produktionsräume und Maschinen an einen Österreicher verpachtet, der hier Jeansstoff für den Export in die USA weben ließ.
Tourismus war unsere Hoffnung
„Wir waren alle mächtig motiviert, hofften, dass alles so weitergeht mit der Arbeit. Keiner leistete sich bei dem Österreicher Schlamperei.
Wir arbeiteten in der rollenden Woche und hatten voll zu tun. Klar, jeder dachte an die DDR-Zeit mit der Vollbeschäftigung. Schichtbusse rollten da
jeden Tag an, brachten Kollegen aus den umliegenden Dörfern und aus polnischen Nachbarorten. Vietnamesen und Mosambikaner standen
an den Maschinen, weil wir das allein alles gar nicht schaffen konnten.
Na ja, 1994 war dann doch Feierabend für uns. Der Österreicher
hatte wohl genug in der Tasche.
Von heute auf morgen kam das mit dem Krebs. Ich war völlig überrascht. Nach der schweren Operation und der langen Rehabilitation sprach mich die Frau von unserem ehemaligen Betriebsarzt an. Die zog gerade einen Fremdenverkehrsein auf und fragte mich, ob ich nicht mitmachen wolle.
Und so bin ich von Anfang an dabei. Wussten sie übrigens, dass Ebersbach 1925 nur sein Stadtrecht bekam wegen der Textilindustrie?“
Der Mann von Eva-Maria Graf kommt aus dem Garten. Er hatte sich gemüht, Treibgut aus dem schmalen Spreelauf zu fischen. Ein Arm hängt leblos herunter. „Mir war ein Autofahrer ins Motorrad gerast, jetzt bin ich Frührentner“, erzählt er.
Seine Frau hat es eilig. Sie muss in die Alte Mangel, ein ehemaliges Fabrikantenhaus, das liebevoll zu einem Treffpunkt für die Ebersbacher restauriert wurde. Der Fremdenverkehrsverein lädt zur Mundartstunde mit dem betagten Herbert Andert. Kein Platz bleibt an diesem Abend frei im Saal des Fachwerkbaus. Einige Frauen haben sich mit ihren Trachten geschmückt. Kuchen wird angeboten, Kaffee ausgeschänkt und Bier. Eva-Maria Graf wäscht mit flinken Händen Geschirr. Sie wirkt zufrieden dabei.
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